Kolumne Mai 2022 – Teil II: Inklusion vollständig umgesetzt? Ein Blick in die Zahlen der KMK

Wer also tatsächlich messen möchte, wie weit Inklusion umgesetzt ist, muss auf die Exklusion gucken: was bewegt sich in Bezug darauf, Ausschluss von Kindern mit Behinderung zu verringern? Wie weit hat sich das System als System tatsächlich verändert? Das ist leider sehr überschaubar – sowohl in Berlin als auch bundesweit. Während wir auf die aktuellen Zahlen des Senats als Antwort auf den offenen Brief warten, können wir die Zahlen betrachten, die uns in der KMK Statistik zur Verfügung stehen (Januar 2022):

2011 haben 10.883 Kinder in Berlin eine Förderschule besucht; 2020 waren es noch 8.345 (a.o. S. 25, Tabelle B.1.1).

2011 haben 9.750 Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in Berlin allgemeine Schulen besucht; 2020 waren es 19.815 (a.o., S. 53, Tabelle B 2.1.1.1).
Insgesamt gab es 2011 in Berlin 273.413 Schüler:innen; 2020 319.347 (a.o. S. 118).

Das heißt: einem Rückgang von gut 2.500 Kindern an den Förderschulen steht ein Anstieg von über 10.000 Kindern an den Regelschulen gegenüber. Da die Schüler:innenzahl in diesem Zeitraum gestiegen ist, bedeuten 2500 Kinder und Jugendliche weniger an Förderschulen einen Rückgang von etwa 1,4 Prozentpunkten (c. 4% zu 2,6%). Demgegenüber steht ein Anstieg von Kindern mit Förderbedarfen in allgemeinen Schulen (Inklusionsquote) von 3,6 auf 6,2% – knapp 60%. Der Anteil von Kinder mit sonderpädagogisch diagnostiziertem Förderbedarf (die Förderquote) ist in in diesem Zeitraum Berlin von ca. 7,5% auf c. 8,8% gestiegen (eigene Berechnungen auf der Basis von KMK Statistik: Tabellen B.1.1, B 2.1.1.1 und Gesamtschülerzahl a.a.O. 118). Continue reading „Kolumne Mai 2022 – Teil II: Inklusion vollständig umgesetzt? Ein Blick in die Zahlen der KMK“

Kolumne Mai 2022 – Teil I: Inklusion vollständig umgesetzt? Eine Frage von Begriffen

Am 21. Februar 2022 hat die Abgeordnete Franziska Brychcy (Die Linke) eine kleine Anfrage an den Berliner Senat gestellt, deren letzte zwei Punkte lauteten:

„16. Wie bewertet der Senat die Ergebnisse der im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE) angefertigten Studie von Prof. Klemm, der Lehrkräftebedarf und das Angebot der Lehrkräfte bis 2030 untersuchte und mindestens 81.000 fehlende Lehrkräfte errechnete?
17. Wie hoch wäre in diesem Zusammenhang der zusätzliche Lehrkräftebedarf, der für Berlin durch die fehlende Abbildung von Inklusion und Ganztagsschulbetrieb in den bisherigen Prognosen bisher nicht berücksichtigt worden wäre?“

Die Antwort des Senats dazu vom 9. März 2022, unterschrieben von Aziz Bozkurt, liest sich so: […] Die aufgestellten Annahmen zu Inklusion und Ganztagsbetrieb treffen in Berlin ebenfalls nicht zu. Zum einen ist die Inklusion in Berlin für die Grundstufe bereits vollständig umgesetzt, zum anderen ist auch der Ganztagsbetrieb in Berlin bereits umfassend ausgebaut.“

Leider geht diese Antwort der Senatsverwaltung für Bildung an das Berliner Abgeordnetenhaus nicht mit einer Analyse einher, worauf genau sich die Aussage, Inklusion sei „bereits vollständig umgesetzt” gründet. Continue reading „Kolumne Mai 2022 – Teil I: Inklusion vollständig umgesetzt? Eine Frage von Begriffen“

Kolumne Mai 2021: 16:38 Uhr zu spät für Inklusion

Vor mittlerweile 12 Jahren hat sich Deutschland dazu verpflichtet, die Behindertenrechtskonvention (BRK) der Vereinten Nationen (UN) umzusetzen. Der Mensch sollte fortan im Mittelpunkt stehen, nicht mehr das System. Dieses sollte sich umgekehrt den Menschen mit Behinderung anpassen.
Und nun, 12 Jahre später, grübele ich immer noch. Darüber, warum diese Verpflichtung an verschiedenen Stellen in der Schul- und Bildungsverwaltung, aber auch in den Schulen selbst – noch nicht wirklich angekommen ist. Beispiele dafür gibt es viele.

Fangen wir damit an, wie den Interessen derer begegnet wird, die „Inklusion“ quasi erfunden haben und seit März 2009 gemäß Art. 4 (3) der UN-BRK fortwährend auf die Verpflichtung zu ihrer Umsetzung verweisen. Diese Vertreter*innen vermitteln wo es umfassende strukturelle Defizite gibt, sie bringen sich ein, wo Grundlagen im Sinne und nach Verpflichtung der UN-BRK geschaffen werden müssen. Sie verteidigen Rechte, fordern Rahmenbedingungen ein, korrigieren mühselig wesentliche Vorhaben, streiten – auch mal emotional. Dies, da noch immer häufig hinter verschlossenen Türen, und oft ohne rechtmäßige, frühzeitige und stetige Beteiligung derer um die es geht, agiert wird. Continue reading „Kolumne Mai 2021: 16:38 Uhr zu spät für Inklusion“